Schwierige Gefühle annehmen – das ist für viele, vielleicht auch für dich, eine Herausforderung. Du empfindest z.B. Wut im Bauch, Ärger, Unsicherheit, Enttäuschung, Angst oder Traurigkeit. Dass schwierige Gefühle von Zeit zu Zeit auftauchen ist völlig normal – aber den meisten Menschen fällt es schwer, sie anzunehmen. Trauer um eine beendete Beziehung, Angst vor der Zukunft, Ärger, Neid oder Eifersucht gehören zum Leben dazu. Doch sie treffen uns immer wieder irgendwie unvorbereitet. Gerade wenn du momentan eine Krise erlebst, kann das Annehmen der damit verbundenen schwierigen Gefühle eine große Herausforderung sein.
In diesem Artikel erfährst du…
- Welche drei Fehler du im Umgang mit schwierigen Gefühlen nicht machen solltest
- Was wahre innere Stärke ausmacht
- Wie Achtsamkeit dich unterstützt, schwierige Gefühle anzunehmen
- Bleib im Hier und Jetzt
- Sorge gut für dich
- Kämpfe nicht dagegen an
- Bleibe in Kontakt
- Übe Dankbarkeit
Wenn wir schwierige Gefühle nicht annehmen wollen
Ich kann mich noch gut an das mulmige Ziehen im Bauch erinnern, als ich in der fünften Klasse meine erste 5 mit nach Hause brachte. Ich wurde es einfach nicht los. Dabei habe ich mir wirklich Mühe gegeben, mich abzulenken. Auch wenn die Möglichkeiten noch nicht so vielseitig waren wie heute, habe ich versucht, mich intensiv aufs Fernsehen zu konzentrieren. Jedesmal, wenn eine Sendung zu Ende war, war aber auch das unangenehme Gefühl im Bauch wieder da – schwer wie ein Felsbrocken. Abwarten bis es vorbeigeht hat in dieser Situation überhaupt nicht geholfen. Dabei war es gar nicht so sehr die Angst, es meinen Eltern zu sagen. Vielmehr habe ich mich furchtbar geschämt, dass nun jeder sehen konnte, dass ich scheinbar nicht gut genug war (also mangelhaft, um mit den Worten zu sprechen, die in der Schule benutzt werden).
Der Umgang mit schwierigen Gefühlen haben wir oft nicht gelernt
Schwierige Emotionen erleben wir alle als Kind. Aber die wenigsten von uns haben gelernt, wie wir auf eine gesunde Weise damit umgehen können. Wenn wir Gefühle erleben, die uns unangenehm sind oder uns überfordern, reagieren wir als Erwachsene oft wie automatisch: wir fangen an, übermäßig zu essen, reagieren gereizt auf andere Menschen, trinken Alkohol oder lenken uns mit Internet oder Fernsehen ab. Es liegt nahe, dass diese Strategien unser Leiden auf Dauer eher noch verstärken.
Starke Gefühle haben einen Sinn
Schwierige Gefühle annehmen ist auch aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll. Du kannst heftige oder unangenehme Empfindungen verstehen als eine Art Weckruf – sie beinhalten eine Aufforderung zum Handeln. Wut mobilisiert Kraft, um für unsere Bedürfnisse einzutreten. Angst unterstützt uns darin, gut für unsere Sicherheit zu sorgen und Neid legt oft unsere tiefsten Wünsche offen. Sobald Gefühle wahrgenommen und ihre Botschaft verstanden wird, haben sie ihren Sinn erfüllt und du kannst sie leichter wieder loslassen.
Um das Loslassen zu erleichtern, sage ich dir als erstes, welche drei Dinge du im Umgang mit schwierigen Gefühlen nicht machen solltest.
Die drei häufigsten Fehler im Umgang mit schwierigen Gefühlen
- 1. Schwierige Gefühle nicht annehmen sondern verdrängen
Wenn wir darum ringen, unangenehme Gefühle verdrängen, zu verleugnen oder anderen zu unterstellen, haben wir nach kurzer Zeit noch mehr Probleme als vorher. Das Schwierigste daran ist jedoch, dass wir uns nicht einfach nur von unseren schwierigen Gefühlen trennen können. Wenn wir vermeiden, schwierige Gefühle auszuhalten oder zu spüren, trennen wir uns von allen Gefühlen ab, insbesondere auch von denen, die wir schön finden. Das bedeutet, dass wir auch das Empfinden von Freude, Glück oder Verbundenheit mit anderen herunterregulieren und nicht mehr so gut wahrnehmen können. Unsere „emotionale Schwingungsfähigkeit“ nimmt ab, sagen die Psychologen. Damit sind wir leider schnell auf dem besten Weg in die Depression.
- 2. Positives Denken erzwingen
Zunächst einmal: es ist grundsätzlich nichts Falsches an einer optimistischen Haltung. Positive Gefühle haben viele Vorteile: sie verbessern die mentale und physische Gesundheit und wirken sich positiv auf Beziehungen aus – wenn sie echt sind. Wenn du dich heute in den sozialen Medien umschaust, wirst du bemerken, dass die meisten Beiträge sich darum drehen, wie wundervoll und außergewöhnlich das Leben dieser Menschen ist. Selbstzweifel zu haben, sich klein oder verletzlich zu fühlen scheint nicht in diese Welt zu passen. Daraus kann ein gewisser Druck entstehen, positiv zu denken. Der hilft dir aber nicht weiter, im Gegenteil. Viele Betroffene fühlen sich eher noch schlechter und haben Schuldgefühle, weil sie es nicht hinbekommen, „positiv“ zu denken.
„Wenn du bemerkst, dass es sich falsch anfühlt, wenn da eine Trennung ist zwischen dem, was du zeigst und dem, was du tief in dir fühlst, dann gerätst du in Schwierigkeiten – mit dir selbst und mit anderen Menschen.“
Rick Hanson
In einem Podcast (näheres hier) erläutern Rick und Forrest Hanson, dass es sehr viel Stress verursacht, seine wahren Gefühle zu verstecken. Wirkliche Veränderung bringt es, wenn wir lernen, durch durch schmerzvolle Empfindungen hindurchzugehen, anstatt um sie herum. Wie das geht, erkläre ich dir gleich. Vorher will ich dich noch auf den dritten „Denkfehler“ aufmerksam machen:
- 3. Dir sagen: „Ich will jetzt stark sein“
Stark sein zu wollen wird im Umgang mit schwierigen Gefühle oft falsch verstanden. Starke Menschen tragen oft Glaubenssätze mit sich herum, die es schwierig machen, ihre Gefühle anzunehmen. Sie denken…
- Sie müssten sich zusammenreißen
- Ihre Gefühle seien nicht so wichtig
- Sie müssten für andere da sein und nicht für sich selbst
- Ihre Bedürfnisse hätten keine Berechtigung
- oder: Sie müssten alles alleine schaffen
Das kann leicht in einen inneren Kampf gegen die Gefühle führen. Und wenn wir dagegen kämpfen, erhalten wir es weiter aufrecht. Wir bleiben gefangen in einem inneren Streitgespräch zwischen Verstand und Gefühlswelt – und fühlen uns oft auch sehr einsam. Um schwierige Gefühle wirklich zu bewältigen, möchte ich dich darin unterstützen, alte Glaubenssätze loszulassen, stark sein neu zu definieren und achtsamer mit dir umzugehen.
Wie du wahre innere Stärke entwickelst und schwierige Gefühle annehmen kannst
Schwierige Gefühle, Konflikte und Krisen bieten dir die Chance, an ihnen zu wachsen und zu reifen. Vergleichbar mit deinem Immunsystem, das dich wieder gesund werden lässt, wenn du erkältet bist, kannst du auch das „Immunsystem“ deiner Seele stärken, um nach schwierigen Lebensphasen wieder glücklich zu werden und dich innerlich stark zu fühlen.
Es geht darum, dass dich der Umgang mit schwierigen Gefühlen, Konflikten oder Krisen nicht aus der Bahn wirft. Konflikte und Krisen sind fordernd und können dich hart treffen, aber du wächst auch an ihnen und lernst, deine schwierigen Gefühlen anzunehmen und dich neu auszurichten.
Wahre innere Stärke bedeutet für mich, dass du dir die Erlaubnis gibst…
- … den inneren Kampf zu beenden
- … alle Gefühle da sein zu lassen
- … dich auch verletzlich zu fühlen
- … mutig zu sein statt perfekt
- … für dich zu sorgen mit Dingen, die dir gut tun
- … auf einer tiefen Ebene Verantwortung zu übernehmen für das, was dir im Herzen wichtig ist
Schwierige Gefühle annehmen mit Achtsamkeit
Die Praxis der Achtsamkeit ist eine wichtige Unterstützung, wenn es darum geht, schwierige Gefühle anzunehmen. Sie hilft dir, angenehme und unangenehme Empfindungen wahrzunehmen, ohne dich von diesen mitreißen zu lassen.
Diese 5 Schritte helfen dir, im Alltag achtsam mit herausfordernden Gefühlen umzugehen:
- Bleib im hier und jetzt. Wenn du Trennung, Angst oder Krisen erlebst, dann geht es zunächst einmal darum, nur diesen Tag, diese Stunde, diesen Moment durchzustehen. Du musst noch nicht wissen, wo es in deinem Leben hingeht. Du darfst dich verloren, traurig und verletzlich fühlen. Bemerke, dass nicht jeder Moment sich gleich anfühlt. Wann immer deine Gedanken sich in der Vergangenheit oder Zukunft verlieren, hole sie sanft wieder zurück in die Gegenwart. Konzentriere dich auf das, was du ohnehin tust: Geschirr spülen, Staub saugen, sprechen, zuhören, spazieren gehen.
- Sorge gut für dich. Atme. Entspanne dich. Sei freundlich zu dir. Tu Dinge, die dir gut tun.
- Kämpfe nicht dagegen an. Eifersucht, Trauer, Einsamkeit – schmerzhafte Gefühle wollen angenommen werden. Mache sie nicht schlimmer als sie sind, indem du dir Vorwürfe machst. Wenn du dich in Dauerschleife fragst, was du falsch gemacht hast, kippst du schnell von dem Gefühl „Ich fühle mich schlecht“ in die Empfindung von „ich bin schlecht“. Das bist du nicht. Steh auf deiner Seite. Glaub an dich. Lerne, die Situation anzunehmen wie sie ist – ohne sie zu verschlimmern, ohne sie zu beschönigen. Bei Bedarf gehe zurück zu Punkt 2.
- Bleibe in Kontakt. Wieviel Kontakt zu anderen Menschen wünschst du dir? Welche Menschen tun dir gut? Wieviel Ruhe brauchst du? Wieviel Zeit für dich oder mit anderen? Suche den Kontakt zu Menschen, die dich unterstützen und verabschiede dich höflich aus Gesprächen, die dich anstrengen (siehe Punkt 2).
- Übe Dankbarkeit. Dieser Tipp ist von einer guten Freundin, die um ihren Sohn trauert. Frage dich: wofür bin ich inmitten von diesem Schlimmen dankbar? Das können so einfache Dinge sein wie ein Glas Wasser, das deinen Durst stillt. Der Blick in einen schönen Garten. Das Verständnis von einem geliebten Menschen.
Ich bin sicher, dass diese Tipps dir mit der Zeit helfen, deine schwierigen Gefühle zu integrieren und wieder Freude, Verbundenheit und tiefes Glück zu erleben. Gerade in herausfordernden Lebensphasen kannst du in die Tiefe hinein wachsen und dich weiterentwickeln. Hab Geduld mit dir in diesem Prozess.